Geburt

Drei Wochen ist Hannah jetzt schon auf der Welt. Und doch ist alles anders als beim ersten Mal. Wir waren wieder im selben Krankenhaus in dem auch Paula auf die Welt kam, sind vorbei gelaufen am selben Zimmer in dem wir damals mit Paula lagen, in dem uns unsere Eltern, also auch mein Vater besucht, haben. Aber diesmal ist er nicht mehr da. Ich weiß noch wie ich ihm gesagt habe das wir wieder schwanger sind. Da hatte er kaum noch Kraft, lag selber im Krankenhaus. Aber er hat die Nachricht aufgenommen, gesagt das er sich freut. Sein Gesicht in dieser Sekunde werde ich nie vergessen. So kraftlos.
Immer wieder muss ich daran denken, dass er nicht über sein eigenes Schicksal geweint hat, sondern darüber seine erste Enkelin Paula nicht aufwachsen sehen zu können. Das erfüllt mich immer noch mit tiefer Traurigkeit.
Jetzt beginnt die Adventszeit, aber die Besinnlichkeit liegt mir fern. Meine Mutter macht mir sorgen und ich werfe mir vor mich nicht genügend um sie zu kümmern. Aber Kind zwei beansprucht gerade viel Zeit. Ich freue mich sehr über Hannah und doch bin ich voller trübsal. Traurig darüber, das mein Vater nun so vieles nicht mehr miterleben darf, nicht mehr miterleben kann.
Und immer noch kommt mir das alles so unwirklich vor. Als ob ein Mensch zu dem man eine solch enge Bindung hatte nicht einfach so gehen kann, als ob er gar nicht weg wäre, als ob er immer noch da sei. Nur um festzustellen das es ihn nicht mehr gibt. Das zerreist mich. Immer wieder. Bei aller freude über das neue Kind. Das zerreist mich.

Vorbei

Als ich dieses Blog begann, dachte ich es würde eine lange Geschichte werden. Keine schöne, dass war mir bewußt. Ich dachte mit dem Schreiben könnte ich Ängste und Sorgen besser bewältigen. Das die Geschichte so kurz werden würde war mir nicht klar.

Mein Vater ist am 08.03.2015 um 3:40 Uhr im Beisein meiner Mutter und mir gestorben.

Er war zu Hause, diesen letzten Wunsch konnten wir ihm erfüllen. Und wir waren bei ihm, dass konnten wir uns erfüllen. Der Moment seines letzten Atemzuges war vielleicht der friedlichste Moment seit der Diagnose. Was bleibt ist das absolute Unverständnis das mein Vater mit 66 Jahren an Krebs erkranken musste. Und Traurigkeit natürlich. Große Traurigkeit darüber ihn verloren zu haben.

Wenn ich an seine letzten Tage zu Hause zurück denke kommen mir die Tränen. Wie er all seine Kraft zusammen nahm um sich von seiner Enkelin zu verabschieden, welche Energieleistung er dazu aufbrachte. Unglaublich.

Nun ist er nicht mehr da. Das zu begreifen wird noch eine ganze Weile dauern. Momentan ist es noch unvorstellbar. Morgen findet die Trauerfeier statt. Vielleicht wird es danach begreifbarer.

Zeit

Heute im Krankenhaus beschwert. Kein Arzt bei meinem Vater seit zwei Tagen. Die Beschwerde hatte erfolg. Gleich war ein Oberarzt bei meinem Vater und dieser hat mich später angerufen. Leider keine aufbauenden Nachrichten. Wenn die Chemo nicht bald einsetzt und anschlägt bleibt nicht viel Zeit. Das ist aktuell noch nicht möglich, weil die Billirubin Werte noch nicht in Ordnung sind. Die sollen durch einen weiteren kleinen Eingriff verbessert werden. Ich könnte kotzen, fühle mich elend.

Angst

Die schlechten Nachrichten reißen einfach nicht ab. Mein Vater wurde wieder operiert. Es tut weh, seine geschwächte Stimme am Telefon zu hören, nachdem er schon wieder auf dem Weg war sich von den vorangegangenen Operationen zu erholen.

Die Metastasen wachsen und haben die nächste Operation notwendig gemacht. Wieder ein Aufschub der Chemotherapie. Auch wegen schlechten Blutwerten. Außerdem hat er sich einen Krankenhauskeim eingefangen.

Ich weiß nicht womit er das verdient hat. Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Die Frage nach dem Warum. Warum trifft es ihn zu diesem Zeitpunkt?

Ich habe Angst um ihn und die Angst wird mit jeder weiteren schlechten Nachricht größer. Wächst genauso wie der Krebs in ihm.

Das erscheint mir alles so sinnlos und zum verzweifeln.

Ich wünsche mir das er zu Kräften kommt, Appetit bekommt um wieder zu Kräften zu kommen, besser Blutwerte bekommt um den Kampf gegen die Krankheit aufnehmen zu können.

Morgen fahre ich ihn besuchen. Ich hoffe das mir die Begegnung mit ihm nicht noch mehr Angst macht.

Mein Vater

Mein Vater, nennen wir ihn Lothar, hat Krebs.

Die Diagnose kam wie ein Schock über uns. Wie schnell können doch aus harmlosen Bauchschmerzen ein tödlicher Tumor an der Bauchspeicheldrüse werden. Die Ärzte sagen es besteht keine Aussicht auf Heilung, zu weit fortgeschritten sei der Krebs, hat bereits Metastasen an der Leber gebildet. Ich bin unendlich traurig, gleichzeitig hasse ich mich dafür, weil er noch nicht von uns gegangen ist. Jetzt ist nicht die Zeit zum trauern, lieber sollten wir als Familie das Leben feiern und die verbleibende Zeit genießen.

Das die gemeinsame Zeit auf Erden endlich ist, ist jedem irgendwie bewußt. Konkret zu wissen, dass das Ende eines geliebten Menschen naht ist trotzdem schlimm.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es meinem Vater noch viel Zeit zu schenken. Zeit, die er mit seiner Enkelin, meiner Tochter, verbringen könnte. Die beiden lieben sich sehr. Eine seiner ersten Reaktionen nach der Diagnose war nicht die Traurigkeit über seinen bevorstehenden Tod, sondern die Traurigkeit meine Tochter nicht mehr aufwachsen sehen zu können. Sie ist erst zwei und ich habe Angst davor, dass sie sich nicht mehr an ihn erinnern können wird, nicht mehr weiß wie herzlich die beiden zusammen lachen konnten, nicht mehr weiß wie viel Liebe ihr ihr Opa Lothar entgegengebracht hat.

Ich habe mir immer vorgestellt, wie es sein wird wenn sie größer ist, sie ist gerade erst zwei Jahre alt. Wenn sie größer ist, dachte ich, kann sie bei ihren Großeltern das ein oder andere Wochenende verbringen. In einer Geborgenheit die Großeltern eben vermitteln. Kann sie mit mir und ihrem Opa zu den Spielen unserer Lieblingsmannschaft Eintracht Frankfurt kommen. Können er und ich ihr das Fahrradfahren beibringen. Können meine Eltern uns in der neuen, größeren Wohnung besuchen in der sie endlich ein richtiges Gästezimmer haben und Zeit mit uns und unserer Tochter verbringen.

Seit kurzem ist klar, dass dass nicht möglich sein wird und diese Gewissheit, diese Kenntnis von der unumstößlich nahenden Endlichkeit lässt mich nicht mehr los.

Ich liebe meinen Vater, der so vieles für mich getan hat. Ihn zu verlieren kann und will ich mir nicht vorstellen und doch wird es so kommen.

Viel zu früh.